Maria streckt der schwarzen Zwergziege ihre beiden mit Maiskörnern gefüllten Händchen entgegen. Leni schleckt hastig alle Körner aus den Händen der 6-Jährigen. Die gutmütige Ziege kriegt noch ein paar Streicheleinheiten, dann muss Maria auch schon weiter zu den Meerschweinchen. „Die derfen dann später a nu raus“, erklärt sie und legt den Nagern frische Saltblätter in den Käfig. Maria ist sehr froh, dass Annerose heute Morgen sie zum Tiere füttern ausgewählt hat. Wie jeden Morgen hat Annerose im Stuhlkreis gefragt: „Wer hilft mir denn heute bei den Tieren?“ Und wie jeden Morgen hat fast die ganze Gruppe der 3- bis 6-Jährige sofort ihre kleinen Finger in der Höhe gestreckt. Sich gemeinsam um die 3 Zwergziegen, 3 Meerschweinchen, 2 Kaninchen, zwei Esel und 18 Hühner zu kümmern ist Alltag am Bauernhofkindergarten „Lindenbaum“ im oberbayerischen Noderwiechs bei Brückmühl. Und doch ist es jeden Tag etwas Besonderes für die 31 Kinder.
Kindergarten statt Urlaub auf dem Bauernhof
Etwas Besonderes ist es auch einen Kindergarten als zweites Standbein neben der Milchwirtschaft zu haben. 27 Milchkühe haben die Ettenhubers auf ihrem Naturland-Hof. Ihre Bio-Milch liefern sie an die Molkerei Berchtesgadener Land. In der Genossenschaftsmolkerei haben viele der 1.800 Landwirt:innen eine weitere Einkommensquelle. Sylvia Schindecker, Leiterin der Abteilung Landwirtschaft der Molkerei, erklärt: „Im Alpengebiet und Alpenvorland haben die Betriebe aufgrund der aufwändigeren Bewirtschaftung historisch gesehen oft eine kleine Größe. Wir haben zahlreiche familiengeführte Bauernhöfe. 30 % unserer Genossenschaftsmitglieder führen ihre Höfe im Nebenerwerb.“ Urlaub auf dem Bauernhof, Erträge aus der Holzwirtschaft oder ein Handwerksberuf dienen oft als weitere Einkommensquelle.
„Nur ein Ei!“ Empörung macht sich im Hühnerstall unter den 3- bis 6-Jährigen breit. „ Ja mei so is des, manchmal gibt’s halt nur ein Ei“, sagt Annerose – mit einem verständnisvollen Blick für die aufgebrachten Kinder und die unschuldigen Hühner. Mit dem einen Ei im Korb machen sich Annerose und ihre heutigen Helferlein auf den Rückweg. Am Mini-Blockhaus vorbei, das mit seinem stark begrünten Dach an eine Hobbit-Unterkunft erinnert, geht es zurück in den Garten. Dort wird Annerose schon sehnsüchtig von Paul erwartet. Als Streitschlichterin. Sie soll nun endlich sagen, wer zuerst mit dem Spielzeugtraktor fahren darf.
Hausbaum im Raum und Türknauf in Kuh-Form
Für die Ettenhubers ist der Kindergarten am Hof weit mehr als nur als nur ein finanzieller Aspekt. Es ist eine Herzensangelegenheit: für die Erzieherin Annerose, die die Arbeit mit den Kleinen liebt und sich den Traum vom eigenen Kindergarten erfüllt hat. Und auch für ihren Mann Georg, der seine Frau immer in ihrem Vorhaben unterstützt hat: „Ich find' des einfach wichtig, dass gut ausgebildete Frauen ihren beruflichen Weg weitergehen können. Eben auch wenn es zuhause einen Bauernhof gibt.“ Der 44-jährige Landwirt unterstützt seine Frau tatkräftig. So hat er den namensgebenden Hausbaum, eine alte Linde, die den Kindern auf der Wiese Schatten spendet, auch in den hellen hohen Räumen des Kindergartens aufgestellt.
2014 hat Annerose Ettenhuber den Bauernhofkindergarten eröffnet und 2021 wurde der neue Umbau bezogen. Die Liebe für dieses Projekt zeigt sich im Detail: Das Gruppenfoto ist auf einem Traktor mit Anhänger gestaltet. Der Türknauf am Kinderklo ist ein Kuhkopf. Die Kuh auf der Fließe im Bad hat Annerose selbst getöpfert. Und wenn Annerose die Brotzeit einläutet, dann tut sie das - im wahrsten Sinne des Wortes - mit einer Kuhglocke. „Es is' einfach so wichtig, dass die Kinder einen Bezug zur Natur, zur Landwirtschaft und damit auch zu natürlichen Lebensmitteln haben“, sagt die dreifache Mutter. „Und die Arbeit mit den Kindern und der Bauernhof passen einfach perfekt zusammen.“ Denn Vieles ergänzt sich ganz natürlich. So sollen Kindergartenkinder den Jahreskreislauf kennenlernen. Die Kinder vom Bauernhofkindergarten haben nicht nur gelesen, dass im Herbst Erntezeit ist. Sie haben die Kartoffeln und Kürbisse selbst geerntet. Und die letzten Himbeeren schon abgepflückt.
Wetter-App trifft Wochenplan
Silliert wird bei den Ettenhubers meistens vormittags unter der Woche. Das ist keine alte Bauernregel und auch kein modernes Freizeitverständnis. Auf dem Hof der Ettenhubers ist die Arbeit klar geteilt. Georg kümmert sich um die Landwirtschaft, Annerose leitet den Kindergarten. Er als Landwirt hat die Wetter-App im Blick, sie als Leiterin des Kindergartens den Wochenplan. „Aber wir schauen schon, ob’s manchmal zampasst“, sagt Annerose lächelnd. Und dann fährt Georg eben ein bisschen später mit dem Traktor auf die Weide, damit die Kinder zuschauen können. Das Highlight wartet dann beim Abschlussfest der Vorschulkinder: Zusammen mit Annerose und Georg gehen „die Großen“ dann zum Melken in den Stall. Dann wurde die Bauernhofkindergarten-Zeit und der Spagat zwischen Landwirtschaft und Gesellschaft mit Bravour gemeistert.