Piding: Eigentlich ist ein Nationalpark ein Schutzgebiet, wo die Natur als Natur belassen wird und der Mensch nicht eingreift. Mit Gründung des Nationalparks Berchtesgaden vor über 40 Jahren war aber von Anfang an klar: Die unteren und mittleren Höhenlagen dieser alpinen Region können in ihrer besonderen Artenvielfalt nur erhalten werden, wenn auch die Almwirtschaft weiter betrieben wird. So teilte man den Nationalpark in zwei Zonen: 75 Prozent sind Kernzone, 25 Prozent umfassen die Pflegezone. Dort liegen die Almflächen der Bergbauern der Molkerei Berchtesgadener Land, die durch pflegliche menschliche Nutzung in historischer Zeit entstanden und deren Almflächen einer hohen Zahl an Tier- und Pflanzenarten Lebensraum und in Zeiten des Artensterbens Überlebensraum bieten. Mitte-Ende Mai beginnt dort schrittweise der alljährliche Auftrieb der Kühe, Jungrinder und Kälber.
Wer heute an Nationalparks denkt, geht davon aus, dass hier die Natur vollkommen sich selbst überlassen wird. Im Nationalpark Berchtesgaden ist man von Anfang an einen anderen Weg gegangen: Schon bei Gründung des Nationalparks 1978 wurde dieser in eine Kernzone und eine Pflegezone aufgeteilt. Aktuell umfasst die Kernzone 75 Prozent der Nationalparkfläche. Hier findet außer dem Wegeunterhalt und der Bewirtschaftung der Versorgungshütten keinerlei menschlicher Eingriff mehr statt, ganz nach dem Motto: „Natur, Natur sein lassen“, so Carolin Scheiter, Pressesprecherin des Nationalparks. In der Pflegezone dagegen liegen die Almflächen, die durch Nutzung der Bergbauern in historischer Zeit entstanden sind und davon bis heute geprägt werden. Der schon immer nachhaltige Umgang der Almbäuerinnen und Almbauern mit den Almflächen bietet einer hohen Zahl an Tier- und Pflanzenarten Lebensraum und in Zeiten des Artensterbens einen Überlebensraum. Ziel ist deren Erhaltung. So bestehen die bei Gründung des Nationalparks bestehenden 33 Almen mit ihren 48 Berechtigten und 2 Pächtern noch heute. Die Herausforderungen in einer modernen Gesellschaft sind heutzutage vielfältig. Deshalb stehen alle Beteiligten, die Almbauern:bäuerinnen, die Vertreter:innen des Almwirtschaftlichen Vereins Oberbayern sowie der Forstberechtigten und die Nationalparkverwaltung in enger Abstimmung miteinander.
Drei Almen im Nationalpark: Bindalm, Fischunkelalm, Halsalm
Die Bergbauernhöfe mit Milchvieh im inneren Landkreis Berchtesgadener Land sind allesamt Mitglieder der Molkereigenossenschaft Berchtesgadener Land - und so auch die Betriebe der Familien Wurm, Leitner und Wegscheider, die jeweils eine Alm im Nationalpark bewirtschaften.
Ein Teil des Almrechts auf der Bindalm ist heute im Eigentum des Nationalparks, der rund 20 Hektar an die Bergbauernfamilie Wurm verpachtet hat. Bereits seit 1960 wird sie von den Wurms vom Möslerlehen bewirtschaftet. Aufgetrieben wird nur eigenes Vieh, rund 16 Pinzgauer - 8 Kühe, 8 Jungrinder. Seit der Hofübergabe an die Tochter Regina vor rund 10 Jahren bewirtschaften Sepp (73) und Lieserl (66) Wurm die Alm selbst und sind den ganzen Sommer auf der Alm. Sie wird ganz traditionell bewirtschaftet und Wanderer werden mit eigenen Brotzeiten versorgt. Für Sepp Wurm ist ganz klar: „Die Kühe leben von uns und wir von den Kühen. Das ist eine Einheit, die seit Jahrhunderten zusammengehört“ und Tochter Regina ergänzt: „Die Almwiesen, die es seit Jahrhunderten rund um die Bindalm gibt, bleiben nur erhalten, wenn sie jemand pflegt. Und wenn dort Vieh weidet, das auch durch sein Fressverhalten den Artenreichtum unterstützt.“
Bei der Fischunkelalm handelt es sich um eine sogenannte Ehealm. Die Almflächen sind im Besitz des Nationalparks, der Almkaser und das Weiderecht selbst sind dagegen im Grundbuch des Bergbauern eingetragen. So gehört die Fischunkelalm bereits seit 1486 zum Grafllehen, dem Bergbauernhof der Familie Leitner. Beweidet werden rund 25 Hektar Lichtweide. Den Klimawandel spürt man auch auf der 618 m hoch gelegenen Alm, auf der immer früher aufgetrieben werden muss, um die Verbuschung zu unterbinden. Denn nur, wenn die Weidetiere – erlaubt sind 22 Kühe sowie 6 Ziegen und 3 Schafe, den jungen Baum- und Busch-Aufwuchs verhindern, bleiben die Flächen offen und die Artenvielfalt an Gräsern, Kräuter, Bergblumen und die Vielzahl an Insekten erhalten. Für die Leitners ist der Verkauf von selbst erzeugter Butter und Käse als Brotzeiten für die Wanderer, die mit der Königsseeschiffahrt zur Salet und von dort entlang des Obersees zu Fuß zur Alm wandern, die Haupteinnahmequelle des Bergbauern-Hofes. Dazu hat Hans Leitner zwei Boote in Bereitschaft: eins am Königssee und eines am Obersee – um den Warennachschub für den Almbetrieb in der Saison sicherzustellen. Betrieben wird die Alm mit Unterstützung von Sennpersonal, doch Hans Leitner kommt in der Saison fast täglich, um frisches Brot zu liefern und natürlich auch mitanzupacken. Am Ende nach rund 140 Tagen Almbetrieb freuen sich die Bauersleut, Kühe und Sennpersonal jedes Jahr aufs Neue, wenn alles wieder gut gegangen ist und die Kühe wieder heil via Plette über den Königssee und schließlich zu Fuß im heimatlichen Hof ankommen.
Auch bei der Halsalm sind die Besitzverhältnisse ähnlich: Der Kaser ist schon seit dem 13. Jahrhundert im Besitz der Bergbauernfamilie Wegscheider im Ramsauer Tal. Die Weiderechte für rund 30 Hektar liegen auf Flächen, die dem Nationalpark bzw. angrenzenden Bauernhöfen vom Hintersee gehören. Neben den Weiderechten gehören auch noch Holzrechte zur Alm – das heißt, dass das Holz zum Heizen, aber auch Holz für notwendige Renovierungsarbeiten am Kaser im Staatswald in Abstimmung mit dem Förster geschlagen werden darf. Auf der Halsalm wurde in Verhandlungen mit dem Nationalpark schon vor Jahren Wald und Weide getrennt, sodass heute die Tiere nur noch auf den offenen Almwiesen weiden. Die Wegscheiders haben drei schulpflichtige Kinder. Daher wird für den Almbetrieb zwischen Mai und September Personal eingestellt. Die letzten Jahre waren es immer Sennerinnen – junge Frauen, die sich für einen Sommer vom Alltag verabschiedeten, um sich um die Kühe, das Melken und die Milchverarbeitung zu kümmern und daneben natürlich auch die Wanderer mit Brotzeiten zu versorgen. In 2020 war es eine Schreinermeisterin, im letzten Sommer eine Automobilkauffrau und dieses Jahr tauschen Johanna Bär und ihr Mann den Job als Geschäftsführerin bzw. Pastoralreferent und Seelsorger gegen die Arbeit auf der Alm ein.
Dass die Almen ein fester integraler Bestandteil des Nationalparks Berchtesgaden sind, zeigt sich auch im Haus der Berge, in dem der Pflegezone auf einer ganzen Ebene viel Raum gegeben wurde. In der Zusammenarbeit stimmen sich Nationalpark und Almbauern:Almbäuerinnen immer eng ab. So werden individuelle Themen mit den Betroffenen direkt ausdiskutiert. Für allgemeine Themen hat sich ein so genannter „Runder Tisch“ etabliert, zu dem alle Almbäuerinnen und Almbauern jährlich einladen sind. Dieser regelmäßige Austausch ist allen wichtig. So läuft aktuell ein großes Forschungsprojekt mit dem Titel: "Nachhaltige Almwirtschaft im Klimawandel“, das sich mit den Themen Weideintensität und Artenvielfalt beschäftigt. An diesem Projekt beteiligen sich neben Gotzenalm und Krautkaseralm auch die Almbauern:Almbäuerinnen von oben beschriebener Halsalm und Bindalm. Eines der Ziele ist es, den optimalen Weidestart herauszufinden, denn es wird davon ausgegangen, dass zukünftig der Weideauftrieb früher von statten gehen muss, um auch weiterhin die Almflächen offen zu halten.