Piding: Besondere Zeiten verlangen besondere Lösungen. So hielt die Genossenschaft Milchwerke Berchtesgadener Land Chiemgau eG am vergangenen Dienstag, 27. April 2021, ihre 88. und 89. Generalversammlung mit Abstand von 10 Minuten Pause in der Chiemgau-Sportarena in Ruhpolding via Autokino ab. Die Landwirte* folgten einzeln im Auto den Ausführungen von Vorstandsvorsitzendem und Geschäftsführer zur wirtschaftlichen Entwicklung der heimischen Molkerei, insbesondere im abgelaufenen schwierigen Coronajahr. Trotz hoher Investitionen konnte die Spitzenposition beim Milchpreis 2020 gehalten werden.
Eine Präsenzveranstaltung coronaconform umzusetzen, das war der Wunsch der Molkereigenossenschaft Berchtesgadener Land für die anstehenden zwei Generalversammlungen mit den dabei nötigen Abstimmungen und Wahlen für Vorstand und Aufsichtsrat. Die Lösung fand man mit der Chiemgauarena. In enger Abstimmung mit Traunsteins Landrat Sigi Walch und Ruhpoldings Bürgermeister Justus Pfeifer wurde ein Hygienekonzept für die Veranstaltung in Form eines Autokinos im Biathlonzentrum bei Ruhpolding gefunden. Gestochene Bilder von den Rednern und Präsentationen lieferte eine LED-Leinwand, wie sie sonst im Olympiastadion bei Großkonzerten eingesetzt wird. Der Ton wurde via Radiofrequenz in die Autos transportiert, in denen jeweils ein Landwirt den Ausführungen folgte. Das gesamte Organisationsteam samt Vorstand, Aufsichtsrat und Geschäftsführung wurden vor der Veranstaltung mittels Schnelltest auf Corona getestet. Statt Popcorn gab es ein Lunchpaket, FFP2-Masken und Fähnchen zur Abstimmung.
In den beiden zurückliegenden Geschäftsjahren 2019/2020 konnte die Genossenschaft erneut wichtige Etappenziele erringen. „Ob Plastikreduzierung, Tierwohlbemühungen oder der Einsatz von fair gehandelten Zutaten – unsere Philosophie trifft den Zeitgeist, ermöglicht höhere Abgabepreise und damit letztendlich überdurchschnittliche Milchpreise für uns Bauern“, so Andreas Argstatter, Vorstandsvorsitzender der Molkereigenossenschaft. Wie schon in den Vorjahren führt die Molkerei laut dem führenden Agrar-Fachmagazin top agrar die Milchpreistabelle in Deutschland und Österreich, für konventionelle wie auch für Bio-Milch weiterhin an. So lag der Milchpreis der Molkerei Berchtesgadener Land 2020 bei durchschnittlich 42,11 Cent/kg** brutto bzw. 54,66 Cent/kg** brutto für Biomilch.
Genossenschaft hält - mit Abstand - eng zusammen
2020 drehte sich nicht nur in den Ausführungen des Vorstandsvorsitzenden um Corona. Argstatter betonte, dass es dank der frühzeitig als Krise eingestuften Situation, der von Beginn an sehr strengen Auslegung der Corona-Auflagen durch die Molkerei und dem umsichtigen Verhalten aller Mitarbeiter und der Landwirte gelungen sei, dass Corona in der Molkerei zu keinen Produktionsausfällen geführt hat. Zusammen mit der Produktionsverlagerungen von Gastro-Großgebinden hin zu Verbrauchergebinden sei es gelungen, die täglich rund 1 Mio. Kilogramm angelieferte Milch in Piding auch in diesen herausfordernden Zeiten das ganze Corona-Jahr hindurch komplett zu verarbeiten.
Landwirtschaft muss selbstbewusst ihren Weg gehen / Pflanzendrinks keine Alternative zu Milch
Sichere regelmäßige Einkommen sind das Grundfundament der landwirtschaftlichen Betriebe, deshalb sei es ihm ein ganz wichtiges Anliegen kontinuierlich hohe Milchpreise mit der Molkerei zu erwirtschaften, so Bernhard Pointner, der seit 10 Jahren die Geschicke der Molkereigenossenschaft als Geschäftsführer lenkt. Das ermögliche Investitionen in Tierwohl, Gebäude und Maschinen auf den Höfen und schaffe die Basis, dass auch die Jungen bei der Landwirtschaft bleiben wollen. Mindestens genauso wichtig sei es aber, dass die Landwirte selbst an ihren Beruf Milchbauer glaubten und sich dafür einsetzten, so wie die Molkerei. „Wir machen keine Pflanzenmilch, weil wir an die Kuhmilch glauben“, machte Pointner deutlich. Neben der gesundheitlichen Bedeutung der Milch betonte er die Bedeutung für die heimische Region.
Milchwirtschaft ist bei uns hier in der Alpenregion alternativlos
Erst die Kuh ermöglicht für uns Menschen die in der Alpenregion typischen weitflächigen Grünlandflächen - und damit unverdauliches Gras - in ein so wertvolles Lebensmittel wie die Milch und auch Fleisch umzuwandeln. Die Milchwirtschaft habe damit über Jahrhunderte weg die heute so attraktive Kulturlandschaft in der Alpenregion geschaffen. Und Milch, wie sie hier auf den bäuerlichen Familienbetrieben in der Alpenregion erzeugt werde, sei und bleibe ein stark nachgefragtes gesundes Naturprodukt, ist Pointner überzeugt. Er forderte die Landwirte auf, sich den vielen negativen Strömungen in der Gesellschaft mit Selbstbewusstsein positiv entgegenzustellen, damit Landwirt zukünftig wieder ein gefragter Beruf und ein positives Lebensmodell werde. Bauer sein heißt viel zu arbeiten und abhängig von der Witterung zu sein. Aber Bauer sein bedeute eben auch mit der Natur und mit Tieren arbeiten zu dürfen und seinen Kindern eine tolle Kindheit bieten zu können. Nicht 3 mal in Urlaub fahren, dafür aber das ganze Jahr auf einem Abenteuerspielplatz mit Heuhüpfen, Traktorfahren mit dem Opa, einem ganzen Sandhaufen und eigenen Tieren aufzuwachsen.
Klimaschutz fordert alle
Der Klimawandel ist da und alle in der Gesellschaft müssen ihren Beitrag leisten zur Reduzierung der Treibhausgase. Deshalb verfolge man in der Molkerei mit viel Engagement nachhaltiges Wirtschaften in allen Bereichen, so der Geschäftsführer. Falsch sei aber, wenn ständig die Landwirtschaft als Hauptverursacher an den Pranger gestellt werde, denn die Landwirtschaft sei lediglich für 12% der weltweiten – und 2% der deutschen Treibhausgase verantwortlich – 75% kämen vom Energiesektor (Quelle: Die Ökobilanz auf dem Teller; Hirzel-Verlag, Dr. Malte Rubach, S. 25 ff .)
Investitionen in Mehrweg
Im laufenden Jahr werden erstmals in der Firmengeschichte 50 Mio. Euro in nur einem Jahr in die Molkerei investiert. Eine Molkerei als Genossenschaft werde immer an der Höhe des Milchgelds von ihren Landwirten bewertet und in Investitionen sehen manche eine Konkurrenz zum Milchgeld. Auch weil das in der Vergangenheit nie so war, haben Vorstand und Aufsichtsrat dieses große Paket an Investitionen verabschiedet. Für dieses große Vertrauen bedankte sich Pointner explizit bei den Führungsgremien der Genossenschaft. Der Löwenanteil des Investitionspakets fließe dabei in die neue Glasabfüllanlage, mit dem der Trend nach Mehrwegpackungen weiterhin bedient werden soll, so der Geschäftsführer. Denn nachhaltiges Wirtschaften ist erklärtes Ziel der Molkerei. Mit den anstehenden Investitionen wird der Molkereibetrieb wirtschaftlicher, gesetzliche Vorgaben werden erfüllt und die Qualität der Produkte wird nochmals gesteigert. So gesehen seien diese Investitionen wieder einmal das Milchgeld von morgen, zeigte sich Pointner überzeugt.
Anstehende Herausforderungen in der Landwirtschaft
Zur bayerischen Politik pflegt die Molkerei über Michaela Kaniber gute Kontakte. Die bayerische Landwirtschaftsministerin ist mit ihrer Heimat, dem Berchtesgadener Land, sehr verbunden. Diese Kontakte zur Spitzenpolitik nutzen wir auch, um z.B. Probleme zum Wolfmanagement, die Schleppschlauchthematik im Berggebiet oder Stallbauförderungen zu thematisieren, so Pointner.
Mit Sylvia Schindecker hat sich die Molkerei im vergangenen Jahr Kompetenz in Sachen politisches Netzwerken ins Haus geholt. Die Agraringenieurin hat in Wien und den USA studiert und war viele Jahre für die österreichische Regierung in diversen Agrar-Fachgremien zwischen Wien, London, Chicago und Brüssel unterwegs. Schwerpunkte der nächsten Jahre sieht Schindecker in der konsequenten Fortsetzung der nachhaltigen Entwicklung der landwirtschaftlichen Betriebe, wie sie auf der Versammlung ausführte. Selbst aus einem bäuerlichen Familienbetrieb stammend, sei es ihr eine Herzensangelegenheit die Leistungen der Landwirtschaft in der Alpenregion mit ihren vielen Tätigkeiten/Aufwendungen für Artenschutz, Erhalt der Kulturlandschaft und der Almwirtschaft sowie das Engagement für Tierwohl aufzuzeigen und weiterzuentwickeln. Mit der Entscheidung für Bewegungsprämien, die 2017 als Laufstall-, Laufhof- und Weideprämien eingeführt worden seien, habe die Molkerei die richtigen Weichen gestellt. Heute treiben rund 1000 Landwirte der Genossenschaft ihre Kühe wieder auf die Weide. Das erzeuge ein idyllisches Landschaftsbild – wichtig für eine Tourismusregion und sei außerdem gut fürs Klima, so die Agraringenieurin. Denn mit den Tritten und Rupfen förderten die Kühe den Humusaufbau und damit die CO2-Bodenbindung. Besonderes Anliegen sei ihr, so viele Betriebe wie möglich, die heute noch ganzjährige Anbindehaltung betreiben, beim Weg zum Stallum- oder Neubau zu begleiten. Die Milch dieser Betriebe wird seit Anfang 2020 separat erfasst, mit 2 Cent/kg (ab März 2021 mit 3 Cent/kg) Milchgeldabschlag für den Mehraufwand belegt und nicht mehr in den eigenen Markenprodukten verarbeitet. Dazu werde die Molkerei Stallbauseminare und Rundfahrten – sobald Corona das wieder zulässt – anbieten.
Neu- und Wiederwahlen von Vorstand und Aufsichtsrat
Auf der 88. Generalversammlung der Molkerei Berchtesgadener Land wurden alle zur Wahl und Wiederwahl Anstehenden in Vorstand bzw. Aufsichtsrat gewählt. Josef Siglreithmayr aus Traunreut, der fast 30 Jahre die Geschicke der Molkerei als Aufsichtsratsvorsitzender begleitet hatte, wurde verabschiedet. Pointner lobte die allzeit konstruktive Zusammenarbeit mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden und bedankte sich für das jahrzehntelange Engagement Siglreithmayrs für die Molkerei sowie für den Frischdienst Berchtesgadener Land. Symbolisch überreichte er ihm ein Bild mit Luftaufnahmen der Molkerei von 1990 und heute. Mit seiner Arbeit und seinen Lösungsansätzen habe er wesentlich zur erfolgreichen Entwicklung der Molkereigenossenschaft beigetragen, lobte Pointner. Außerdem erhielt er vom Genossenschaftsverband eine Urkunde für seinen Einsatz im Ehrenamt. Siglreithmayr ließ sichtlich ergriffen wichtige Etappen in der Entwicklung der Molkerei Revue passieren – das Klärschlammverbot, den Milchstreik, die Entscheidung gegen Gentechnik, das Glyphosatverbot …– und lobte die stets gute Zusammenarbeit mit Geschäftsführung und Vorstandsvorsitzendem. „Man sei nicht immer einer Meinung gewesen, habe aber stets kompromissbereit zum Wohle der Molkerei eine Entscheidung gefunden.“
Als Nachfolger wurde Anton Berger aus Teisendorf, als Vertreter Michael Holzmann aus Grabenstätt gewählt. Anton Berger führte als neuer Aufsichtsratsvorsitzende dann auch gleich durch die Tagesordnung der 89. Generalversammlung, die nach 10 Minuten Pause im Anschluss an die 88. Generalversammlung abgehalten wurde. Auch in der Folgeversammlung wurden alle Ehrenämter, die zur Wahl anstanden, gewählt bzw. wiedergewählt. Der Vorstand besteht weiterhin aus 5 gewählten Vertretern, der Aufsichtsrat aus 14 aktiven Landwirten, die sich über das ganze Einzugsgebiet der Molkereigenossenschaft verteilen und so große und kleine, bio und konventionelle, Garmischer, Chiemgauer oder z.B. Salzburger Bauern gut vertreten.